Mehr Zeit für Nachhaltigkeit auf dem Mähdrescher

10.11.2022
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Prof. Marcus Geimer (M.) vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) koordiniert das Konsortium Fahrerkabine 4.0 von
Prof. Marcus Geimer (M.) vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) koordiniert das Konsortium Fahrerkabine 4.0 von "Agrarsysteme der Zukunft", Patrick Lehr (l.) und Steffen Metzger (r.) sind wissenschaftliche Mitarbeiter im Konsortium.

Bereits vor vier Jahren hatten laut Daten des Statistischen Bundesamt Landwirt*innen die längsten Arbeitszeiten im Vergleich zu allen anderen ausgewerteten Berufsgruppen. Der zunehmende Fachkräftemangel erhöht den Druck zusätzlich, Freizeit und Erholung bleiben oft auf der Strecke. Das Konsortium Fahrerkabine 4.0 will für Entlastung sorgen – mit einer neuartigen vernetzten Fahrerkabine für Landmaschinen, die zugleich ein mobiles Büro ist. Warum ihre Forschung auch auf den Klimawandel reagiert, erklären Projektkoordinator Prof. Marcus Geimer sowie die Projektmanager Patrick Lehr und Steffen Metzger vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Interview.

Auf welche Herausforderungen durch den Klimawandel reagiert die Forschung Ihres Konsortiums?

Marcus Geimer: Die Landwirtschaft ist naturgemäß sehr stark vom Klima abhängig. Landwirt*innen sind darauf angewiesen, ihre Produktionssysteme an die komplexer werdenden Bedingungen anzupassen und dafür brauchen sie umfassende Informationen. Die Digitalisierung, die wir heute als großen Trend sehen, hilft diese Informationen bereitzustellen. Die Fahrerkabine 4.0, die wir gemeinsam mit vier weiteren Institutionen aus Wissenschaft und Industrie entwickeln, soll den Fahrzeugführer*innen notwendige Informationen auf der Landmaschine genau dann bereitstellen, wenn sie sie brauchen. Die Landwirt*innen können so auf Veränderungen durch den Klimawandel reagieren.

Patrick Lehr: Da wir damit die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen entlasten wollen, entstehen auch neue Möglichkeiten sich auf der Maschine weiterzubilden und sich mit Nachhaltigkeitsthemen zu befassen. Denn dafür fehlt oft die Zeit.

Wie sieht die Lösung aus, an der Ihr Konsortium forscht?

Lehr: Auch wenn wir es heute mit hochautomatisierten Landmaschinen zu tun haben, muss der Fahrer sie immer wieder selbst steuern. Das klappt am besten, wenn der Bediener sich auf einem mittleren Beanspruchungslevel befindet, also wenn man in diesem Moment weder unter- noch überfordert ist. Wir forschen daher erstens an Methoden, zum Beispiel über Fitnessarmbänder zu ermitteln, wie beansprucht eine Maschinenführerin gerade ist, und zweitens entwickeln wir Lösungen, die Person mithilfe einer virtuellen Assistentin auf einem mittleren Belastungsniveau zu halten. In ruhigen Phasen bietet die Fahrerkabine 4.0 an, Aufgaben aus dem digitalen Betriebsmanagement auf der Maschine zu erledigen. In anspruchsvollen Situationen unterstützen Technologien wie Augmented Reality die Person auf der Landmaschine bei ihren Entscheidungen. 

Geimer: Wir setzen diesen Ansatz aktuell so um, dass die Fahrerkabine 4.0 in einen Mähdrescher integriert wird. Dafür haben wir einen Demonstrator entwickelt, den wir mit Praktiker*innen testen. Später könnte das aber auch eine andere Landmaschine sein oder die Landwirtin erhält die Informationen über eine VR-Brille direkt auf dem Feld. Denn wir gehen davon aus, dass Landwirt*innen trotz Automatisierung auch in Zukunft nicht im Büro arbeiten werden. Sie wollen weiterhin nah bei ihren Pflanzen sein.

Von welchen gesellschaftlichen Faktoren hängt es ab, ob Ihre Lösung funktioniert?

Steffen Metzger: Wir erfassen sensible Daten der Maschinenführer*innen, zum Beispiel Gesundheitsdaten durch die Fitnessarmbänder. Dadurch spielt das Thema Datenschutz für uns eine ganz wichtige Rolle. Die Nutzer*innen der Fahrerkabine 4.0 müssen darauf vertrauen können, dass wir Daten so sparsam wie nötig und so sicher wie möglich erfassen. Wir stellen in unserer Forschung natürlich permanent sicher, dass alle rechtlichen Richtlinien eingehalten werden und die Datenverarbeitung für die späteren Nutzer*innen so transparent wie möglich ist. Trotz allem muss sich die Gesellschaft bewusst sein, dass unser System nur mit diesen Daten funktionieren kann. Wir gehen davon aus, dass durch die weitere Automatisierung – auch zum Beispiel im Automobilbereich – die Akzeptanz für diese Art von Datenerfassung steigen wird.

Wie werden die Ergebnisse Ihrer Forschung den Alltag der Menschen verändern?

Geimer: Die Fahrerkabine 4.0 wird vor allem das Wohlbefinden von Menschen verbessern, die in der Landwirtschaft arbeiten und an manchen Tagen 14 Stunden auf ihrer Maschine verbringen. Wenn wir erreichen, dass mehr Landwirt*innen ihren Arbeitsplatz künftig als attraktiv beschreiben, hätten wir einen großen Schritt getan – auch für die Ernährungssicherheit der Bevölkerung.

Das Interview führte Julia Walter.

Zu diesen Nachhaltigkeitszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt Fahrerkabine 4.0 bei: