Zwei Welten verbinden für bestmögliche Nachhaltigkeit

11.11.2022
Teilen auf
Prof. Enno Bahrs ist Professor für landwirtschaftliche Betriebslehre an der Universität Hohenheim. Er koordiniert das Konsortium NOcsPS von
Prof. Enno Bahrs ist Professor für landwirtschaftliche Betriebslehre an der Universität Hohenheim. Er koordiniert das Konsortium NOcsPS von "Agrarsysteme der Zukunft".

Chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel verboten, Mineraldünger – in möglichst geringen Mengen – erlaubt: So lässt sich der Mittelweg zwischen ökologischem und konventionellem Landbau zusammenfassen, den das Konsortium „NOcsPS“ von Agrarsysteme der Zukunft erforscht und erprobt. Der wissenschaftliche Koordinator von NOcsPS, Prof. Enno Bahrs von der Universität Hohenheim, erklärt im Interview den Ansatz und was er für den Klimaschutz leisten soll.

Auf welche Herausforderungen durch den Klimawandel reagiert die Forschung Ihres Konsortiums?

Enno Bahrs: Unser Konsortium NOcsPS forscht an einem Landbausystem, mit dem Lebensmittel möglichst nachhaltig ohne chemischen Pflanzenschutz, aber mit moderatem Einsatz von Mineraldüngern angebaut werden können. Das heißt, unser neues Landbausystem soll gleichzeitig dem Klimawandel entgegenwirken und eine bestmögliche Klimaanpassung gewährleisten. So wollen wir auch extremen Witterungsbedingungen begegnen, die in Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach häufiger werden. Dafür brauchen wir eine hohe Resilienz unserer Anbaufrüchte, damit sie zunehmender Dürre, Hitze, Starkniederschlägen oder auch Frostereignissen in frühen Vegetationsstadien standhalten können.

Wie sieht die Lösung aus, an der Ihr Konsortium forscht?

Vielfältige Fruchtfolgen sollen für Klimaschutz und -anpassung, aber auch für hohe Biodiversität sorgen. Auch wenn die Erträge beim Verzicht auf chemische Pflanzenschutzmittel zurückgehen werden, haben wir die berechtigte Hoffnung, dass Produzent*innen durch den moderaten Einsatz von Mineraldüngern weiterhin vergleichsweise hohe Produktionsleistungen erreichen können. Im Sinne der Nachhaltigkeit sollen Düngemittel so effizient wie möglich zum Einsatz kommen. Moderne Technologien für die Ernte, zur Bodenbearbeitung und -pflege können sich zusätzlich positiv auf Umwelt und Klima auswirken. Unser Ansatz ist also kurz gesagt, dass moderne Technologien mit standortangepasstem Saatgut plus Betriebsmitteleinsätzen und Maßnahmen der Bodenbewirtschaftung in der Summe zu einer bestmöglichen Nachhaltigkeit führen.

Von welchen gesellschaftlichen Faktoren hängt es ab, ob diese Lösung funktioniert?

Wir sollten uns daran gewöhnen, für Lebensmittel mit einer höheren Nachhaltigkeitswirkung einen höheren Preis zu zahlen. Produzierende, die grün handeln, aber rote Zahlen schreiben, können der Gesellschaft langfristig nicht dienlich sein. Sie benötigen in der Regel höhere Verkaufspreise. Nachhaltigkeit muss sich auch für die Produzent*innen von Lebensmitteln lohnen, damit sich die dazugehörigen Systeme auch etablieren können.

Was muss sich dafür politisch tun?

Die Europäische Union versucht, durch die EU-Taxonomie und die Vorgaben zur nachhaltigen Finanzierung einer gewünschten höheren Nachhaltigkeit Rechnung zu tragen. Dadurch sollen nachhaltigere Produkte ein entsprechend höheres „Preisschild“ bekommen. Dafür braucht es viel Fingerspitzengefühl, weil Lebensmittel gleichzeitig für alle bezahlbar bleiben sollten.

Außerdem muss die Nachhaltigkeitswirkung von Lebensmittel klar und leicht verständlich erkennbar sein. Zurzeit haben wir es mit einem zunehmenden Labeldschungel zu tun, der bei Verbraucher*innen zu Verwirrungen führen kann. Bislang orientieren sich unsere Bewertungssysteme für Nachhaltigkeit stark am Input (z. B. Pflanzenschutz oder Mineraldünger) oder an der Technologie (z. B. mit oder ohne Gentechnik) oder auch an der Herkunftsregion. Eine eigentlich wünschenswerte, aber noch nicht erreichte ganzheitliche ergebnisorientierte Beurteilung der Nachhaltigkeit sollte idealerweise durch ein Nachhaltigkeitslabel mit einer leicht verständlichen Abbildung gewährleistet werden. Die EU möchte ein solches Label im Jahr 2024 einführen. Dann werden wir aber vermutlich noch viele Jahre Entwicklungszeit benötigen, bis das Label tatsächlich umgesetzt werden kann und etabliert ist.

Wie werden die Ergebnisse der Konsortien den Alltag der Menschen verändern?

Im besten Fall konsumieren die Menschen in Zukunft bewusst und bezahlbar nachhaltiger. Unsere Forschung ist auch darauf ausgerichtet, dass Menschen ihre Ernährung und ihren Einkauf – abgesehen vom Fleischkonsum – nicht wesentlich ändern müssen und trotzdem nachhaltiger leben können. Verbraucher*innen sollen Produkte, die aus unserem neuen Anbausystem stammen, in dem Wissen konsumieren können, dass sie Klima und Umwelt schonen, die Biodiversität fördern und die globale Versorgungssicherheit nicht gefährden. Darüber hinaus könnte sich der Alltag der Menschen auch in weiterer Hinsicht verändern: Nämlich, dass wir zukünftig in manchen Regionen wieder vielfältigere Landschaftsbilder wahrnehmen als heute.

Zu diesen Nachhaltigkeitszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt NOcsPS bei: