Kein Land, kein Wasser, kein Handel: Ernährung unter Extrembedingungen sichern

15.11.2022
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Prof. Monika Schreiner vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) ist Ko-Leiterin der Koordinierungsstelle von „Agrarsysteme der Zukunft“ und Koordinatorin von dem dazugehörigen Konsortium food4future.
Prof. Monika Schreiner vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) ist Ko-Leiterin der Koordinierungsstelle von „Agrarsysteme der Zukunft“ und Koordinatorin von dem dazugehörigen Konsortium food4future.

Der Klimawandel ist eine der großen Herausforderungen, vor denen die Agrarwirtschaft steht und denen sich die BMBF-Förderlinie „Agrarsysteme der Zukunft“ widmet. Prof. Monika Schreiner vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) ist Ko-Leiterin der Koordinierungsstelle von „Agrarsysteme der Zukunft“ und koordiniert food4future, eines der acht Konsortien der Förderlinie. Im Interview erklärt die Agrarwissenschaftlerin, inwiefern die Forschung von food4future zur Anpassung an den Klimawandel beitragen kann.

Auf welche Herausforderungen durch den Klimawandel reagiert die Forschung Ihres Konsortiums?

Der Klimawandel verschärft die Konkurrenz um Ressourcen. Wollen wir Fläche weiter für die Landwirtschaft nutzen oder eher für Renaturierung, zum Beispiel von Mooren? Auch Frischwasser ist schon jetzt ein knappes Gut. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung weiter, sodass wir uns Gedanken über alternative Nahrungsquellen machen müssen, die wir auch mit Salzwasser oder wenig Frischwasser kultivieren können. Und wenn wir dem Klimawandel entgegenwirken wollen, brauchen wir nachhaltige Produktionsbedingungen für Lebensmittel, also geringen Flächenverbrauch und kurze Transportwege. Weil ein immer größerer Teil der Weltbevölkerung in Städten lebt – bis 2050 sollen es über 70 Prozent sein –, entwickeln wir bei food4future Produktionssysteme für den urbanen Raum. 

Wie sieht die Lösung konkret aus, an der Ihr Konsortium forscht?

Wir arbeiten an urbanen Bio-Räumen für die Nahrungsmittelproduktion, in denen wir Makroalgen, Salzpflanzen, Quallen und Grillen einzeln oder gemeinsam kultivieren wollen. Einer unserer Schwerpunkte liegt dabei auf Organismen, die im oder mit Salzwasser leben können, damit wir unabhängig von der Verfügbarkeit von Frischwasser werden. Mit den alternativen Organismen oder ihren Inhaltsstoffen können wir gängige Lebensmittel anreichern, zum Beispiel Brot mit Insektenmehl. Wir können daraus aber auch ganz neuartige Lebensmittel kreieren.

Über nicht-invasive und tragbare Sensoren am menschlichen Körper in Kombination mit einer App wollen wir den Ernährungsstatus von Menschen bestimmen und so individuelle Ernährungsempfehlungen möglich machen. Perspektivisch sollen in diesen Empfehlungen auch unsere alternativen Nahrungsquellen vorkommen. 

Auch Sozialwissenschaftler*innen sind an unserem Konsortium beteiligt. Sie untersuchen unter anderem, wie sich ökologische und ökonomische Krisen auf das Ernährungsverhalten von Menschen auswirken. 

Von welchen gesellschaftlichen Faktoren hängt es ab, ob Ihr Ansatz funktioniert? 

Als unser Konsortium 2019 mit seiner Forschung begonnen hat, haben wir uns entschieden zwei extreme Zukunftsszenarien zu betrachten: „No Land“ und „No Trade“. Wie können wir Ernährungssicherheit aufrechterhalten, wenn es entweder keine landwirtschaftliche Fläche mehr gibt oder der globale Handel zum Erliegen kommt? Das schnelle Fortschreiten des Klimawandels, die Corona-Pandemie und der Angriffskrieg auf die Ukraine haben diese Szenarien leider schon teilweise Realität werden lassen. Und trotzdem fehlt gesellschaftlich noch das Bewusstsein, wie dringend wir das Problem der Ernährungssicherheit in den Griff bekommen müssen, weil andere Probleme – wie die Energiekrise und die Inflation – noch dringlicher scheinen. Wir müssen verstehen, dass der Klimawandel nicht wartet.

Was muss sich politisch tun?

Die Politik muss die Forschungsergebnisse, die wir Wissenschaftler*innen erarbeiten, in wissensbasierte Entscheidungen umsetzen und die richtigen Weichen für eine nachhaltige Transformation der Agrarwirtschaft stellen. Dazu gehört, wie von der Zukunftskommission Landwirtschaft empfohlen, Agrarsubventionen nicht nach der Fläche, sondern nach Ökosystemleistungen auszurichten. 

Um den Ansatz von food4future konkret umzusetzen und urbane Bio-Räume Realität werden zu lassen, brauchen wir außerdem engagierte Kommunen und Stadtplaner*innen. Sie sollten bereit sein, Stadt ganzheitlich anders zu denken. Insgesamt sehe ich ein großes Potenzial darin sich stärker über alle Disziplinen hin zu vernetzen.

Wie werden die Ergebnisse der Konsortien den Alltag der Menschen verändern?

Unsere Ernährung wird vielfältiger, wenn wir auch Quallen, Salzpflanzen, Algen oder Insekten auf unseren Speiseplan setzen. Wir werden häufiger traditionelles Fleisch durch proteinreiche Nahrungsquellen wie Quallen und Grillen ersetzen, die deutlich klimafreundlicher sind, und dadurch insgesamt weniger Fleisch essen. Und was wir nicht wissen, aber hoffen: dass durch die verbrauchernahe Produktion in urbanen Bio-Räumen auch der Aspekt der Nachhaltigkeit bei Lebensmitteln – neben Gesundheit, Genuss und Preis – stärker ins Bewusstsein rückt.

Zu diesen Nachhaltigkeitszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt food4future bei: