Klimafreundliche Düngemittel aus Küche und Klo

16.11.2022
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Dr. Anna Fritzsche von der Universität Stuttgart koordiniert das Konsortium RUN von
Dr. Anna Fritzsche von der Universität Stuttgart koordiniert das Konsortium RUN von "Agrarsysteme der Zukunft".

Vom Haushalt in die Landwirtschaft und wieder zurück: Die Wissenschaftler*innen im „Agrarsysteme der Zukunft“-Konsortium RUN entwickeln ein Kreislaufsystem, mit dem sie Phosphor, Kalium und Stickstoff aus häuslichem Abwasser und Bioabfällen zurückgewinnen und daraus Düngemittel für die Landwirtschaft herstellen wollen. Das nachhaltige Verfahren soll auf verschiedene Weisen zum Klimaschutz beitragen, erklärt die RUN-Koordinatorin Dr. Anna Fritzsche von der Universität Stuttgart im Interview.

Auf welche Herausforderungen durch den Klimawandel reagiert die Forschung Ihres Konsortiums?

Im Moment werden mineralische Stickstoffdünger mit dem sehr energieintensiven Haber-Bosch-Verfahren produziert. Wir erhoffen uns deutlich geringere Emissionen bei der Düngemittelherstellung durch unser Recycling-Verfahren. Außer Düngemitteln wollen wir in unserem Recycling-Prozess auch Pflanzenkohle produzieren, die CObindet, und biologisch abbaubare Biokunststoffe zum Beispiel für Agrarfolien, wie sie in der Landwirtschaft beim Anbau von Erdbeeren oder Spargel zum Einsatz kommen. Auch damit sind positive Effekte fürs Klima verbunden, weil nicht mehr fossile, sondern biobasierte Ressourcen der Grundbestandteil des Biokunststoffs sind. 

Wie sieht die Lösung konkret aus, an der Ihr Konsortium forscht?

Die Abkürzung RUN steht für „Rural Urban Nutrient Partnership“, also für Nährstoffgemeinschaften zwischen Land und Stadt. Wir wollen die Nährstoffkreisläufe zwischen Stadt und Land schließen. In den städtischen Haushalten wollen wir dafür wassersparende Vakuum-Systeme in Toiletten und Küchen einsetzen, mit denen wir Abwasser und Bioabfälle erfassen. Mit verschiedenen biologischen, mechanischen und chemischen Verfahren gewinnen wir daraus in der RUN-Anlage, die wir entwickeln, die Nährstoffe Phosphor, Kalium und Stickstoff für unsere Recycling-Düngemittel und außerdem Pflanzenkohle und die Biopolymere für Kunststofffolien. Kurz gesagt: Wir wollen nicht die Landwirtschaft umkrempeln, sondern die Herstellung von Düngemitteln. Dadurch ist unser Ansatz sowohl für die konventionelle als auch für die ökologische Landwirtschaft interessant.

Von welchen gesellschaftlichen Faktoren hängt es ab, ob Ihr Ansatz funktioniert? 

Oft sind die höheren Preise für nachhaltige Produkte und Lösungen ein Grund, weshalb sie sich nicht durchsetzen. Wegen der hohen Energiepreise wird aktuell aber weniger Stickstoffdünger auf konventionellem Wege produziert, die Preise gehen durch die Decke. Durch die aktuelle Krise entsteht also in der Landwirtschaft auch die Chance auf einen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Und ganz wichtig: Natürlich brauchen wir auch bei den Landwirt*innen eine Akzeptanz gegenüber den neuen Düngemitteln. Und bei den Verbraucher*innen eine Akzeptanz gegenüber den landwirtschaftlichen Produkten, die mit Recycling-Dünger aus Abwasser und Abfällen hergestellt werden. Deshalb untersuchen und berücksichtigen wir bei RUN auch, welche Faktoren in der Gesellschaft eine Akzeptanz für den RUN-Dünger fördern oder hemmen.

Was muss sich politisch tun?

Aktuell fehlt noch die rechtliche Grundlage, Abwasser und Abfälle gemeinsam zu verwerten. Wir sehen aber durch unsere Forschung, dass gerade die Mischung bessere Ergebnisse erzielt. Insbesondere benötigt man weniger Zusatzstoffe, um die Produktion zu regulieren und spart so noch mehr Ressourcen. Außerdem könnten unsere mineralischen Düngemittel auch für den Ökolandbau interessant sein, das ist aber noch nicht zulässig. Es ist wichtig, dass diese Wege rechtlich freigemacht werden.

Wie werden die Ergebnisse der Konsortien den Alltag der Menschen verändern?

Unser Kreislaufsystem funktioniert mit Vakuum-Toiletten statt mit gewöhnlichen Spül-Toiletten, womit wir übrigens auch Wasser einsparen. Wenn das RUN-System sich durchsetzt, werden unsere Toiletten und Küchenabfallzerkleinerer in Gebäuden – besonders in neuen Quartieren – weit verbreitet sein. Verbraucher*innen würden durch ihre Teilhabe am Kreislaufsystem mehr zu „Prosument*innen“ werden, also Produzent*innen und Konsument*innen zugleich. Die sozialwissenschaftliche Forschung in unserem interdisziplinären Konsortium hat gezeigt, dass wir im Moment einfach auf die Entsorgungsstrukturen vertrauen, ohne uns als aktiven Teil davon zu verstehen. Nährstoffgemeinschaften können das Bewusstsein schaffen, dass das, was wir entsorgen, am Ende zu uns zurückkommt. Das verändert auch das Verantwortungsgefühl.

 

Zu diesen Nachhaltigkeitszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt RUN bei: