Mit unsichtbaren Zäunen die Weide wiederbeleben

17.11.2022
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Dr. Juliane Horn ist Koordinatorin des Konsortiums GreenGrass von
Dr. Juliane Horn ist Koordinatorin des Konsortiums GreenGrass von "Agrarsysteme der Zukunft".

Nur noch 31 Prozent der Rinder in Deutschland haben Zugang zur Weide. Die meisten Rinder stehen heutzutage ganzjährig im Stall und werden zu 60 Prozent mit auf dem Acker produzierten Silagen und Futtermitteln versorgt – Tendenz steigend. Diesem Trend sollten wir nicht nur zum Wohl der Tiere, sondern auch für den Klimaschutz entgegenwirken, sagt Dr. Juliane Horn. Sie ist Projektkoordinatorin des „Agrarsysteme der Zukunft“-Konsortiums GreenGrass, das an innovativen und zukunftsfähigen Ansätzen forscht um Weidetiere zurück ins Grüne zu bringen.

Auf welche Herausforderungen durch den Klimawandel reagiert die Forschung Ihres Konsortiums?

Juliane Horn: Die industrielle Intensivtierhaltung trägt stark zum Ausstoß von Treibhausgasen und damit zum Klimawandel bei. Das liegt vor allem am Anbau, der Düngung und dem globalen Transport der Futtermittel wie Getreide und Soja für die im Stall gehaltenen Tiere. Nachhaltige Weidehaltung kann die Klimabilanz der Viehhaltung verbessern, denn Weiden erfüllen wichtige Funktionen für das Ökosystem: Sie speichern Kohlenstoff, regulieren die Stoff- und Wasserzirkulation, schützen den Boden und sind Lebensraum für Flora und Fauna. Je ausbalancierter das Pflanzenwachstum auf der Weide, desto mehr Kohlenstoffdioxid wird aus der Luft im Boden gebunden. Doch statt Weiden als Futterquelle für Rauhfutterverwerter wie Rinder und Schafe effizient und nachhaltig zu nutzen, mähen wir heute oft die verschiedenen kleinsträumigen Strukturen der Weide tot.

Wie sieht der Ansatz aus, an dem Ihr Konsortium forscht?

Horn: Wo immer möglich, sollen Rinder auf die Weide und das Grünland als „ökologische Ingenieure“ nachhaltig nutzen. Für eine Trendwende hin zu mehr Weidehaltung und nachhaltigen Weidesystemen brauchen wir aber innovative Wege für die Beweidungskontrolle der Tiere. Unser Forschungsverbund aus Praxisakteuren und Wissenschaftler*innen beschäftigt sich insbesondere mit virtuellen Zäunen als digitaler Zukunftsalternative zum aufwendigen Zaunstecken. Hierfür werden die Rinder mit einem Halsband ausgestattet, das unter anderem eine GPS-Antenne enthält. Die virtuellen Zäune können auf der Satellitenkarte am Smartphone beliebig gesetzt und verschoben werden. So lassen sich bestimmte Teilbereiche der Weide zeitweise ausgrenzen. So kann ein gesunder Pflanzenbewuchs der Weide für eine optimale Kohlenstoffbindung erzielt werden. Virtuelles Zäunen macht es also möglich Weidesysteme flexibel, standortgerecht und nachhaltig zu gestalten.

Von welchen gesellschaftlichen Faktoren hängt es ab, ob diese Lösung funktioniert? 

Horn: Eine effiziente, nachhaltige und tiergerechte Weidehaltung setzt viel Engagement voraus. Digitale Tools können hier vieles erleichtern und effizienter gestalten, sie sind aber nicht die Lösung für alles. Virtuelles Zäunen kann ein Game Changer sein, wenn gleichzeitig Umweltleistungen honoriert werden, wenn die Wirtschaftlichkeit der Weidehaltung gesichert wird und wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen nachziehen. 

Was muss sich politisch konkret tun?

Horn: Aktuell läuft die Diskussion über den Einsatz von virtuellen Zäunen auf Hochtouren. Dabei geht es vor allem um tierschutzrechtliche Aspekte und Haftungsfragen. Elektrozäune gelten nach wie vor als Goldstandard. Dabei sind Zaunkontakte, Ausbrüche und sogar mitunter tödliche Verletzungen von Nutz- und Wildtieren nicht ungewöhnlich. Internationale Studien haben bislang keine Hinweise geliefert, dass virtuelle Zäune das Tierwohl beeinträchtigen. Norwegen und Großbritannien haben derzeit ein marktreifes Produkt für den Praxiseinsatz zugelassen. Die EU-Mitgliedstaaten sollten diesem Beispiel folgen.

Wie werden die Ergebnisse Ihrer Forschung den Alltag der Menschen verändern?

Horn: Unterschiede wird es beispielsweise bei der Milch geben. Langfristig ist es notwendig den Kuhbestand auf robuste Rinderrassen umzustellen, die an die Weidehaltung angepasst sind. Diese Rassen geben zwar einzeln weniger Milch als die Hochleistungskühe im Stall, dafür ist aber der Fett- und Eiweißgehalt der Milch höher, die Milchinhaltsstoffe hochwertiger und die Tiere sind gesünder. Bei steigenden Energiepreisen kann die Weidehaltung langfristig auch die Preise für Milch und Rindfleisch stabilisieren, da die Kosten für die Futterbergung geringer sind.Außerdem kann digitale Landwirtschaft Verbraucher*innen und Landwirte näher zusammenbringen. Informationstools bieten neue Möglichkeiten für die Rückverfolgung von Milch- und Fleischprodukten. So können Wissen und Wertschätzung für nachhaltige Weidehaltung als landwirtschaftliche Produktionsweise weiterwachsen. 

Zu diesen Nachhaltigkeitszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt GreenGrass bei: