Von einer Vision zur klimaresilienten Transformation

18.11.2022
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Volkmar Keuter von Fraunhofer UMSICHT koordiniert das „Agrarsysteme der Zukunft“-Konsortium SUSKULT. Sandra Schwindenhammer von der Justus-Liebig-Universität Gießen ist die stellvertretende Projektkoordinatorin.
Volkmar Keuter von Fraunhofer UMSICHT koordiniert das „Agrarsysteme der Zukunft“-Konsortium SUSKULT. Sandra Schwindenhammer von der Justus-Liebig-Universität Gießen ist die stellvertretende Projektkoordinatorin.

Bei dem Konsortium SUSKULT von der Förderlinie „Agrarsysteme der Zukunft“ fließen die Nährstoffe aus dem Abwasseraufbereitungssystem unmittelbar in die urbane Pflanzenproduktion. Diese innovative Kreislaufschließung sorgt nicht nur für nachhaltige Lebensmittel, sondern auch für mehr Unabhängigkeit: von den Auswirkungen des Klimawandels und von globalen Lieferketten. Im Interview berichten die Projektkoordinatorinnen Volkmar Keuter und Sandra Schwindenhammer über die SUSKULT Vision und von politischen Stellschrauben, an denen zugunsten einer nachhaltigen, wettbewerbsfähigen Transformation der Nahrungsmittelproduktion gedreht werden muss.

Auf welche Herausforderungen durch den Klimawandel reagiert die Forschung Ihres Konsortiums?

Volkmar Keuter: Der Klimawandel wirkt sich weltweit auf Agrarsysteme aus. Längere Hitzeperioden führen zu geringere Erträgen. Daneben sehen wir den Einfluss des Klimawandels auf Energiesysteme und die hier entstehenden CO2-Emissionen. Auf diese Veränderungen reagieren wir mit SUSKULT, indem wir mit der Pflanzenkultivierung in den geschlossenen Raum gehen. Diese Indoor-Produktion kann unabhängig von dem außen herrschenden Klima geschehen, teilweise mit höheren Erträgen. Auch vom Dünge- und Nahrungsmittelimport sind wir unabhängig, sodass unser Kultivierungssystem gegenüber den aktuellen Herausforderungen resilient ist. Außerdem werden durch kurze Transportwege und in der Produktion CO2-Emissionen reduziert.

Wie sieht die Lösung aus, an der Ihr Konsortium forscht?

Keuter: In SUSKULT entwickeln wir ein kreislaufbasiertes System für die Kultivierung von Lebensmitteln am Ort des Bedarfs. Konsument:innen werden dabei zu Prosumenten:innen, weil sie selbst die Nährstoffe für die Pflanzenkultivierung produzieren. In unserer kürzlich eingeweihten Pilotanlage werden die für die pflanzliche Ernährung wesentlichen Makronährstoffe Stickstoff, Phosphor und Kalium aus einem Teilstrom des Abwassers gewonnen. Daraus entsteht ein Flüssigdünger für die Kultivierung von nachhaltigen, frischen und gesunden Produkten wie Salat, Kräutern, Süßkartoffeln und Wasserlinsen.

Von welchen politischen Faktoren hängt es ab, ob diese Lösung funktioniert? 

Sandra Schwindenhammer: SUSKULT macht durch die Verkoppelung des Abwassersystems mit dem Lebensmittelproduktionssystem einen Brückenschlag, den die Politik selbst noch nicht vollumfänglich mitvollzogen hat. Deshalb stoßen wir an regulative Grenzen, zum Beispiel im Düngemittelrecht. Da wir bei SUSKULT Nahrungsmittel hydroponisch – also ohne Erde – produzieren, können wir aktuell keine Bio-Zertifizierung bekommen, obwohl wir viele Kriterien der ökologischen Landwirtschaft erfüllen. Um perspektivisch innovative Ansätze wie SUSKULT auszurollen, braucht es ermöglichende Regulierung und Anreizsysteme, auch um solche Ansätze ökonomisch wettbewerbsfähig zu machen. Was die Umweltkosten von Agrarsystemen anbelangt, werden bereits Diskussionen zur CO2-Bepreisung geführt. 

Keuter: Gerade in Hinblick auf den Klimawandel liegt die politische Verantwortung nicht nur darin, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, sondern herunterzubrechen, was Visionen wie SUSKULT im Gesamtkontext der Agrarsysteme bedeuten können. Hierzu braucht es ein Umdenken, sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf politischer Ebene, um den Umbau der Agrarwirtschaft auf Sekundärrohstoffe stärker zu ermöglichen. Nur so kann der entsprechende Transfer aus der Wissenschaft gelingen.

Was muss sich gesellschaftlich tun?

Schwindenhammer: Allgemein sehen wir einen zunehmenden gesellschaftspolitischen Diskurs darüber, wie Ernährungssysteme im Sinne des Klimawandels ausgestaltet sein sollten. Doch auch wenn viele Menschen bereits Nachhaltigkeitsaspekte beim Konsumieren berücksichtigen, ist es in letzter Konsequenz auch eine Kostenfrage. Diese führt uns zurück zur politischen Gestaltungsverantwortung.

Wie werden die Ergebnisse von SUSKULT den Alltag der Menschen verändern?

Keuter: Wir haben in Zeiten multipler Krisen gelernt, was die Abhängigkeit von globalen Lieferketten bedeutet. Auch die Klimakrise zeigt uns durch Trockenheit, Hitze- oder Kältewellen in den Erzeugerländern, dass die daraus resultierenden Ertragseinbußen als erhebliche Preissteigerungen bei den deutschen Verbraucher:innen ankommen. Am Ende des Tages sorgen Nährstoff- und Energiekreisläufe sowie eine lokale Lebensmittelproduktion für stabile Preise.

Schwindenhammer: Im Rahmen der kurzen, kreislaufgeschlossenen Wertschöpfungskette in SUSKULT können Menschen in der Stadt unmittelbar nachhaltige Nahrungsmittel konsumieren. Wir erhoffen uns andere Formen des Vertriebs und der Verwertung. Neben Kläranlagen könnten in Zukunft Wochenmärkte entstehen.

Zu diesen Nachhaltigkeitszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt SUSKULT bei: